ARMUT KLASSISMUS KRANK UND BEHINDERT WOHNEN

Das Grundgesetz hat Geburtstag- Grund zum Feiern gibt es nicht: schwere Zugänglichkeit, keine Fortentwicklung und möglicherweise Verfestigung von Armut

Geringe Zahl an Annahmen und Begründungen bei Individualbeschwerden am Bundesverfassungsgericht. Unbemerkt von Öffentlichkeit wurde die Zugänglichkeit verengt. Unterdeckung im Existenzsicherungsrecht und die Unterversorgung im Krankenversicherungsrecht für Personen mit seltenen, genetischen, chronischen Krankheiten, bei systemisch Erkrankten und Multimorbiden. Weiterhin fehlt Grundrecht auf Wohnen. Klagen muss man sich leisten können. Geringe Zahl an Annahmen und Begründungen bei Individualbeschwerden am Bundesverfassungsgericht.

Die Hüterin der Grundrechte ist das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), wo bei einer Verletzung der Grundrechte von der betroffenen Person nach dem Instanzenzug Individualbeschwerde erhoben werden kann. Zu monieren sind zunächst die niedrigen Annahmequoten von Beschwerden und die geringe Quote an begründeten Ablehnungen (2012 1,29 und 4,2 Prozent- https://www.lto.de/recht/justiz/j/bverfg-2021-begruendungen-nichtannahmen-jahrestatistik-2021/). Eine detaillierte Statistik zu Individualbeschwerden, in welchen Rechtsbereichen, von welchen Personen wird angenommen und wo, wer abgelehnt wird, sucht man vergebens. Als Beschwerdeführer erhält man die Information, dass eine hohe Zahl, ca. 6000 Eingaben pro Jahr eingeht und dass daher nicht jede Beschwerde bearbeitet werden kann. Da fragt man sich, ob Überlastungsanzeigen gestellt werden, um eine adäquate personelle Ausstattung zu erreichen.

Sodann fehlt weiterhin das Grundrecht auf Wohnen.
Wiewohl das Problem von verschiedenen Städten und Initiativen in Europaa diskutiert wird, wurde von der Bundesregierung lediglich festgestellt, dass sich aus den europäischen Statuten kein solches Recht herleiten lässt, eigene Bemühungen in der Sache gab es nicht (https://www.bundestag.de/resource/blob/564208/2bc5b4d15b4d0d111fe7518f7c8c1c4d/wd-2-054-18-pdf-data.pdf).

Unterdeckung im Existenzsicherungsrecht und die Unterversorgung im Krankenversicherungsrecht für Personen mit seltenen, genetischen, chronischen Krankheiten, bei systemisch Erkrankten und Multimorbiden
Die Existenzsicherung stellt auf die Norm ab. Das Bundesverfassungsgericht hat aber schon 2010 erklärt, dass der Regelsatz individuell zu berechnen ist. Leider hat die damalige Bundesarbeitsministerin, die Christdemokratin von der Leyen dann nur für wenige Situationen einen Mehrbedarf festlegen lassen anstatt zu erklären, dass seltene, systemische Krankheiten und Multimorbidität Extrabedarfe haben, denn deren Bedarfe werden in den Erhebungen ja gar nicht gemessen. Bis 1997 gab es übrigens Mehrbedarfspauschalen im Alter, bei Erwerbsminderung und bei Behinderung in der Sozialhilfe. Heute können lediglich Personen mit entsprechendem Einkommen von einer Steuerbefreiung profitieren (Behindertenpauschbetrag). Das Gesundheitssystem ist auf die Behandlung von Volkskrankheiten ausgerichtet. Der Deutsche Ethikrat hat 2018 auf die schlechte Versorgungslage und wirtschaftliche Vulnerabilität bei Seltenen Erkrankungen und auch mangelhafte Kenntnis der Behandler und Kostenprobleme hingewiesen(https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Ad-hoc-Empfehlungen/deutsch/herausforderungen-im-umgang-mit-seltenen-erkrankungen.pdf). Diese Bedarfe fallen jetzt schon an und müssen aus dem Bürgergeld, der Grundsicherung oder von kleiner Rente finanziert werden. Bei seltenen, genetischen, systemischen Erkrankungen und Multimorbidität sind diese auch erheblich. Bei Seltenen Erkrankungen gibt es oft nur internationale Leitlinien, das bedeutet, dass man sämtliche Krankenbehandlungen extra bei den Krankenkassen beantragen muss. Immerhin gibt es schon ein Urteil des BSG, dass auch versorgt werden muss, wenn es medizinische Hinweise dass eine Behandlung anschlagen kann, natürlich ist die Studienlage bei Seltenen Erkrankungen eine ganz andere, es gibt nur wenige Betroffene und wenig Forschung. Bei der Verfasserin besteht Erblindungsgefahr, leider hat sie erst vor kurzen erfahren, wie der Wirkmechanismus ist. Von den AugenärztInnen wurde nicht darüber aufgeklärt worden, dass bei ihrer Augenerkrankung in der internationalen Forschung der Hirndruck schon seit einiger Zeit im Verdacht steht und bei ihrer Grunderkrankung der Hirndruck verändert sein kann. In ihrer familiären Vererbungslinie sind schon Veränderungen im Hirn bekannt, die auf den veränderten Hirndruck zurückzuführen sind. Nachdem sie selbst die gesamte internationale Fachliteratur zusammengestellt hat, wurde Antrag auf Kostenübernahme, auch Reisekosten gestellt. Schon vor 3 Jahren war vorsorglich Abklärung beantragt worden, weil Veränderungen im Hirn in der Familie bekannt sind. Seitdem wird am Sozialgericht gestritten. Leider gibt es kaum die Möglichkeit zu Eilverfahren, denn die Richter legen das sehr restriktiv aus, diese gibt es nur bei Lebensbedrohlichkeit, dass mittelfristig hohe und irreparable Schäden entstehen können, wird von der Rechtssprechung ignoriert. Man müsste bei seltenen, genetischen, systemischen Erkrankungen und bei Multimorbidität einen schnelleren Zugang bekommen. Es sollte wieder pauschale Mehrbedarfe im Existenzsicherungsrecht geben, wobei höhere Bedarfe individuell möglich sein sollten (Details unter http://www.gegenmacht.net/was-tun-sach-rechtslage-forderung-krankheit/).

De facto, ist hier das Grundrecht, dass niemand wegen seiner Behinderung diskriminiert werden darf außer Kraft gesetzt.

Unbemerkt von der juristischen Öffentlichkeit wurde mit einem ablehnenden Beschluss zum Erbrecht des Bundesverfassungsgericht vom 25.04.16 – 1 BvR 2423/14 die Zugänglichkeit weiter verengt.
Die Verfasserin selbst hat den Beschluss mit einer erbrechtlichen Anmerkung von Rechtsanwalt Sarres gelesen (ZEV 10/16, S 578 ff.). Zunächst einmal erklärt das BVerfG, dass bedauerlich ist, dass die Untergerichte das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Mindestteilhabe an einem Erbe insoweit verletzt haben, als dass geurteilt wurde, dass ein notarielles Verzeichnis, das lediglich die Aussagen des Erben wiedergibt hinreichend ist, wiewohl die Rechtssprechung schon durchentschieden hat, dass der Notar eigene Ermittlungen tätigen muss. Der Beschwerdeführer hat nun gerade keine Kontrolle über die Aussagen des Erben erhalten. Dazu muss man wissen, dass seit Jahren beklagt wird, dass Erben der Betrug der Pflichtteilsberechtigten stark erleichtert wird und quasi straflos bleibt (kürzlich bezog die Bundesrechtsanwaltskammer zu diesem Problem Stellung, Initiativstellungnahme No 36 der Bundesrechtanwaltskammer „zugunsten eines fairen Verfahrens im Pflichtteilsrecht und Erweiterung der wechselseitigen Auskunftsrechte (https://www.brak.de/fileadmin/05_zur_rechtspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2019/dezember/stellungnahme-der-brak-2019-36.pdf).

Das Bundesverfassungsgericht garantiert also keine Heilung einer Grundrechteverletzung mehr. Der neue Leitsatz lautet vielmehr:
zugelassen sind nur noch schwere Grundrechtsverletzungen;
es müssen mehrere Personen, eine Fallgruppe betroffen sein;
es muss eine existenzielle Notlage vorliegen.

Zu den Motiven, die diesem Paradigmenwechsel zugrunde liegen erfährt man nichts. Es gab keine öffentliche Diskussion dazu. Welche Grundrechtsverletzung sind schwer, welche nicht und damit hinnehmbar?

Das Grundrecht auf eine Mindestteilhabe am Familienvermögen ist laut dem Beschluss jedenfalls nicht erheblich.

Jedenfalls laufen arme Personen in Gefahr vom Rechtssystem ausgegrenzt zu werden.

Was eine existenzielle Notlage ist, hat das Bundessozialgericht (BSG) schon definiert:
dies sind besondere Lebensumstände in der Person des Leistungsberechtigten, die das physische Existenzminimum konkret und unmittelbar gefährden, existenzielle Nöte richten sich nach den Lebensumständen, Existenzsicherungsrechtliche Hilfen begründen keine existenzielle Notlage, sondern sichern gegen diese ab (BSG Urteil v. 21.09.2017 – B 8 SO 5/16 R).

Dies heißt, man kann sich nicht mehr aus dem Sozialhilfebezug herauserben, denn man ist diese Situation erstens gewöhnt und zweitens sichert ja schon der Bezug von Existenzsicherungsleistungen gegen existenzielle Not ab.

Vermögen, Schadensersatz u. Ä. sind nur bei dem von Bedeutung, der kurz vorher wohlhabend war, dann abgestürzt ist und dadurch wieder in seine alte Stellung zurückfinden könnte. Zu beachten ist, dass Arbeit gerade nicht mehr vor Armut schützt und Vermögen meist vererbt wird. Schwenkt das BVerfG auf die Linie des WEF ein, nach dem es keine Privatsphäre und kein Eigentum mehr geben soll (Die Welt im Jahr 2030 nach Wunsch des Weltwirtschaftsforums, 2021 https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/509657/Keine-Privatsphaere-und-kein-Eigentum-Die-Welt-im-Jahr-2030-nach-Wunsch-des-Weltwirtschaftsforums)- jedenfalls für Arme könnte es so sein, für ehemalige Reiche gibt es noch den Aufzugseffekt der Lebensumstände als Begründung und der WEF wird sicherlich auch die Besitzlosigkeit nicht den Mitgliedern, sondern nur den Ländern der Mitglieder verordnen wollen.

Es ist bezeichnend, dass diese neuen Massgaben des BVerfG im Erbrecht versteckt wurden. Privilegiert dürfte jedenfalls noch das Sozialamt sein, das ausweislich § 93 SGB XII den Anspruch auf sich überleiten kann, nämlich wenn der Tod des Erblassers während des Sozialhilfebezugs eintritt. Beim Bürgergeld kann zukünftig niemand mehr verpflichtet werden, den Pflichtteil geltend zu machen. Ab 1.7.23 gilt, dass ein zugeflossenes Erbe als Vermögen zu bewerten ist, der Freibetrag liegt hier bei einer Person bei 40.000€ (https://www.arbeitsagentur.de/datei/dok_ba015849.pdf). Das Beenden der Hilfebedürftigkeit mittels Erbe ist hier kein Thema mehr, gibt es ein Erbe gilt die Vermögensregelung. Gibt es keines, muss man halt von dem geringen Bürgergeld leben. Das Bürgergeld priviligiert Personen mit Vermögen, wenn solches vorliegt.

Die Verfasserin hat selber eine Eingabe im Erbrecht am BVerfG ins Allgemeine Register eingestellt. Wenn diese zur Entscheidung steht, ist sie schon sehr gespannt, ob bei ihr Unterdeckung im Existenzminimum, Unterversorgung in der Krankenversorgung und drohende Erblindung eine existenzielle Notlage sind. Oder ob die Erbin ihrem Totalbetrug um ca. 3 Mio € daher erfolgreich behalten kann und die Steuerzahlerin weiterhin für die Sozialleistungen aufkommen muss.



Im übrigen muss man sich Gerichtsverfahren erst einmal leisten können.
Zudem kann es durchaus an materiellen Mitteln fehlen, um sein Recht durchzusetzen, denn der Zugang zu mittlerweise üblichen Kommunikationsmitteln wie PC, Scanner, Router, Drucker, Fax ist dadurch erschwert, dass ein zu geringer Regelsatz für diese Technik im Existenzsicherungsrecht eingestellt ist. 2017 waren im Regelsatz für die Ansparung eines Computers 2,52 € mtl. vorgesehen (steigt pro Jahr anteilig mit der Erhöhung um die allgemeine Teuerungsrate- allerdings steigen Lebensmittel und Energie, die den größten Teil des Regelsatzes aus machen deutlich höher, um kurz die grundlegende Problematik der Regelsatzberechnung zu skizzieren). Personen mit höheren Gesundheitsausgaben als die Norm, sicher bei seltenen, systemischen Erkrankungen und multimorbiden Personen der Fall, können hier gar nichts ansparen, sondern müssen ihre erhöhten Gesundheitsausgaben damit querfinanzieren. BVerfG Beschluss vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10/12 weist auf die Unterdeckung bei (Mobilität), Gesundheitsleistungen und Haushaltsgeräten hin (Rn. 120). Der Auflage an den Gesetzgeber, die Möglichkeit eines Zuschusses zu schaffen, wurde insofern nachgekommen, als dass nach 7 Jahren, seit dem 01.01.2021 mit der Neufassung des § 21 Abs. 6 SGB II diese Möglichkeit besteht. Der allerdings de facto weiterhin nicht gewährt wird, sondern in jahrzehntelangen Gerichtsverfahren erklagt werden muss. 

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