KRANK UND BEHINDERT

Müssen Personen mit Seltenen Krankheiten weiterhin diskriminiert werden? Oder kann das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz Abhilfe schaffen?

Hier handelte es sich wieder einmal um den Klassiker, den Personen mit Seltenen Krankheiten oft erleben: Ausschluss von den Versorgungsleistungen. Das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) läuft leer, weil Behörden sich mit allerhand Ausreden weigern, den diskriminierenden Akt oder einen Schaden daraus anzuerkennen, noch die Abläufe diskriminierungssensibel überprüfen. Jedoch ist allen der gleiche Zugang zur Versorgung zu gewährleisten.

Problem bei den Versorgungsämtern ist, dass eben nur bekanntere Krankheiten einen Grad der Behinderung und weitere Merkmale zugewiesen bekommen haben. Und diese Personen also automatisch auf Antrag den entsprechenden Grad der Behinderung erhalten. Dies nutzen die Behörden, um Seltene Erkrankungen abzulehnen bzw. unterzuversorgen. Man hat erkannt, dass man hier sparen kann, indem Personen mit Seltenen Krankheiten aus der Versorgung herausfallen, indem man diese nicht wahrnimmt. Zudem dürfte auch zutreffen, was allgemein im Gesundheitssystem auszumachen ist, es ist zu arbeitsaufwändig, Personen mit speziellem Bedarf zu versorgen und augenscheinlich auch, diesen einen angemessenen Zugang zu eröffnen. Jedoch ist allen der gleiche Zugang zur Versorgung zu gewährleisten.

Zur Erinnerung, am 28. Februar war der Rare Disease Day, der mit folgendem Hinweis begangen wurde “Everyone deserves equitable opportunities and access to health care. But for those of us with a rare disease, we are more likely to face misdiagnosis, treatment inequality and isolation! This rare diesease day light up in solidarity with over 300 million people living with a rare condition.” (rarediseaseday.org ein Projekt von Eurordis,https://www.eurordis.org/ ).


(Erinnert sei auch noch einmal an die Unsichtbarkeit von Behinderungen, die bestehen, ohne dass sie gleich optisch wahrnehmbar sind (Spot 2 der Videoclips von Aktion Mensch, https://cripples-unite.de/video-spots-on-disability/). Dies sorgt übrigens auch im medizinischen Bereich für Fehldiagnosen, denn wenn man nicht sofort etwas sieht, kann das doch alls nicht schlimm sein).

Es werden Gutachter*innen bestellt, die keine Fachkenntnisse zur prüfenden Erkrankung und ihre Auswirkung auf die Versorgung haben. Solche Verfahren sind anstrengend und zermürbend, die physische und psychische Integrität der Person wird zerrüttet, man fühlt sich sehr schlecht. Es ist erniedrigend, entwürdigend, gegen die Menschwürde so behandelt zu werden.
Dieser Vorgang, Gutachter*innen zu bestellen, die die Erkrankung gar nicht kennen, ist nicht untypisch (Versichert und Verloren, ein Film von Stefan Maier, SWR, 2015, https://www.youtube.com/watch?v=pK2_6QvjU7A). Es wird auch nicht die Möglichkeit genutzt, anzuordnen, dass die Gutachterin sich in das ihr unbekannte Krankheitsbild einarbeitet, um dann eine korrekte Begutachtung durchführen zu können.

Gerne wird versucht, dann die Betroffenen zu psychiatrisieren- also ihre Leiden wären auf eine psychische Störung zurückzuführen, die handfest diagnostizierte körperliche Erkrankung wird heruntergespielt, grundlegende Befunde übergangen und auf die körperlichen Auswirkungen gar nicht erst eingegangen. (Wenn der Rechtsstaat zur Farce wird, Ortwin Rosner, 2018, https://www.derstandard.at/story/2000091231352/wenn-der-rechtsstaat-zur-farce-wird; Dr. Hans-Ulrich Hill: Die Psychiatrisierung von Patienten mit chronischen Multisystemkrankheiten am Beispiel ME/CFS – Folgen und Hintergründe (aus „ME – Myalgische Ezephalomyelitis vs. Chronic Fatigue Syndrom. Fakten, Hintergründe, Forschung“ von Katharina Voss, 2015).

Im Abstract von “Dignity not fully upheld when seeking health care: experiences expressed by individuals suffering from Ehlers-Danlos syndrome (EDS)” ist folgendes zu lessen:Aim: The principle of human dignity has assumed importance in ethics and constitutional law throughout the 20th century in the Western world. It calls for respect of each individual as unique, and of treating him or her as a subject, never as a mere object. As such, the principle constitutes an ethical cornerstone in health care. Patients suffering from Ehlers-Danlos syndrome (EDS) challenge medical care and knowledge in health-care professionals’ as symptoms sometimes are vague. Individuals with this disorder have reported not being respected when seeking health care…. Results: After qualitative content analysis, the following five categories were identified: ‘Being ignored and belittled by health-care professionals,’ ‘Being assigned psychological and/or psychiatric explanations’, ‘Being treated and considered merely as an object’, ‘Being trespassed in one’s personal sphere’ and ‘Being suspected of family violence’. Consequences of these encounters were ‘Mistrusting the physician’ and ‘Risking bad health’. Conclusions: The memory of not being respected is substantial for individuals with EDS and can last for years. As a result, lack of trust for the health-care system is created and they may experience difficulties in future encounters with health care. Therefore, health-care professionals should base their actions on norms that protect human dignity and confirm each patient as a unique human being with resources and abilities to master their own life.” (Berglund B, Anne-Cathrine M, Randers I (2010) Dignity not fully upheld when seeking health care: experiences expressed by individuals suffering from Ehlers-Danlos syndrome. Disabil Rehabil 32(1):1–7, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19925271/).

Sodann resultiert daraus, dass den Betroffenen die angemessene Versorgung versagt wird. “Rare diseases are often chronic, progressive, degenerative, life-threatening and disabling diseases. Many rare disease patients are denied their right to the highest attainable standard of health. To go beyond patients’ anecdotes and investigate experience-based opinions in a quantitative way, the EurordisCare2 and EurordisCare3 surveys were conducted. These surveys investigated patients’ experiences and expectations regarding access to diagnosis and to health services, for a variety of significantly relevant rare diseases across Europe. The results are reported in “The Voice of 12,000 Patients”.”( EURORDIS, Kole A, Faurisson F. 2009, The voice of 12,000 patients. Experiences and expectations of rare disease patients on diagnosis and care in Europe , https://www.eurordis.org/publications/the-voice-of-12000-patients/). Dieses Buch richtet sich u.A. an die Gesundheitsbehörden.

Rare disease awareness ist mit dem Lageso Berlin trotz des LADG nicht zu machen.
Obwohl § 11 LADG die Festlegung eines Leitprinzips für die öffentliche Verwaltung, nämlich die Verhinderung und Beseitigung jeder Form von Diskriminierung und die Förderung einer Kultur der Wertschätzung und Vielfalt enthält, fühlen sich die untergeordneten Behörden keineswegs daran gebunden.

In dem vorliegenden Fall wurde im sozialrechtlichen Klageverfahren auf den Schwerbehindertenausweis der angemessene Versorgungsgrad mit Merkmal erst erteilt, als ein Privatgutachten einer auf das Krankheitsbild spezialisierten Ärztin vorgelegt wurde, das eben nicht entkräftet werden konnte. Auch hält die Diskriminierung noch an, denn es wird im Kostenverfahren am Sozialgericht immer noch nicht anerkannt, dass wie auch der Ethikrat bei Versorgung Seltener Krankheiten bestätigt (https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Ad-hoc-Empfehlungen/deutsch/herausforderungen-im-umgang-mit-seltenen-erkrankungen.pdf), dass eben auf eine seltene Erkrankung spezialisierte Gutachter*innen oft nicht am Ort sind. Wiewohl nicht einmal das Lageso eine/n Gutachter/ìn vor Ort gefunden hatte. Es kann nicht sein, die von Seltenen Erkrankunen Betroffenen zu diskriminieren und für diese eben im Gegensatz zu den bekannteren Krankheiten kein geeignetes Begutachtungsverfahren zu führen, wenn man im Haus einen Installateur braucht, beauftragt man ja auch keine Maurer.

Im zivilrechtlichen Verfahren wegen Diskriminierung nach den LADG ist besonders absurd, dass die landeseigene Behörde nicht die landeseigenen Gesetze anerkennen will. Denn, dass diese Diskriminierung stattfand, wurde von dem Lageso nicht bestritten, sondern § 8 des LADG verneint, nämlich dass der diskriminierende Akt schadensersatzfähig ist. Weil, so hier die Begründung der Rechtsabteilung des Lageso, kein Schaden entstanden sei (behinderte Menschen sind ja schon krank?). Die zwischenzeitlich zur Regulierung eingeschaltete Senatsverwaltung für Finanzen hat erklärt, dass das Lageso in eigener Zuständigkeit tätig werden kann. Das Lageso möchte aber freiwillig nichts unternehmen. Es ist absurd, wenn Behörden eigene Gesetze nicht respektieren. Daher muss der Klageweg nun doch beschritten werden, den erst einmal wieder die Steuerzahlerin finanziert und der mit weiteren Diskriminierungen behaftet ist, und den gesundheitlich vulnerable Personen kaum schaffen. Es wird den Betroffenen erneut eine gesundheitliche Belastung und damit erheblicher Schaden zugefügt, in dem dieses Verfahren trotz klarer Gesetzeslage zu führen ist.

Diese Diskriminierung von chronisch Kranken und Behinderten ist strukturell und systemisch.
Sie ist besonders perfide, weil die Betroffenen körperlich und oft auch finanziell schwach sind. Man erhofft sich einfach, dass die Betroffenen sich nicht mehr wehren können. Daher entscheiden Behörden entgegen der eindeutigen Rechtslage. Ist jemand multimorbide oder multisystemisch erkrankt oder an einer seltenen Erkrankung erkrankt, die oft genetisch ist, wie hier ist dies bei, ist dies ein noch heftigerer Schlag, denn die komplexe Erkrankung bei sämtlichen Stellen, der Krankenkasse, Sozialhilfe und Versorgungsamt erstritten werden, wo jeder dieser extra Steine in den Weg legen wird. Dies ist kaum bekannt und das grundsätzliche Problem interessiert nicht, lieber wird von Modethemen wie Long Covid gesprochen.

Behörden unverändert uneinsichtig und diskriminierungsunsensibel.
Große Besorgnis besteht, dass bei Behörden keine Sensibilität und kein Veränderungswunsch vorhanden ist. Dieses Verhalten, (und die Haltung lieber weitere Kosten verursachen, Anm. Verfasserin) sowie die Weigerung diskriminierendes Verhalten abzustellen, ist bei Behörden oft auszumachen, bestätigen Fachverbände und die Leiter*innen von Antidiskriminierungsstellen. Zudem mangele es den Betroffenen an Finanzkraft, daher würden es nur wenige Fälle vor Gericht schaffen (https://taz.de/2-Jahre-LADG-Berlin/!5862124&s=ladg/). Behinderte Personen sind finanzschwach, wenn sie wegen Erwerbsminderung nur ein niedriges Einkommen haben. Vorliegend wurde daher ohne Anwalt/Anwältin, denn diese/r muss im Prozesskostenhilfe Verfahren selbst bezahlt werden, ein Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt.

Es steht zu befürchten, dass das LADG lediglich dem polititschen Wokewashing der tatsächlichen Verhältnisse dient, mit dem man sich schmückt, die Diskriminierten aber hängen lässt. Dies liegt im Trend der Parole von hier-ist-alles-schön, mit der sich Politiker*innen gerne hausieren gehen und dabei unterschlagen, dass die Praxis eine ganz andere ist.

Bisher bekannte Klagen nach dem LADG waren, wegen rassistischer Diskriminierung bei einer Kontrolle der BVG (https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/jeremy-osborne-habe-mich-in-keiner-stadt-so-unsicher-gefuehlt-wie-in-berlin)- ein häufig bekanntes Problem- und wegen fehlender Gleichstellung von Frauen mit nacktem Oberkörper beim Baden- auch ein bekanntes Problem (https://freiheitsrechte.org/themen/gleichbehandlung/ladg-plansche).

Der Betroffenen in der Sache gleiches Baden für alle, war immerhin gelungen, dieses zwar nicht schadenersatzfähig zu bekommen, aber im Bezirk durchzusetzen.

Das Zebra wird als Symbol für seltene Erkrankungen genutzt (https://flexikon.doccheck.com/de/Zebra).

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